Mittwoch, 18. Juni 2014

die entdeckung der langsamkeit


















Die Langsamkeit ist uns abhanden gekommen. Deshalb möchte ich heute ein Plädoyer auf die Langsamkeit schreiben. Heutzutage geschieht vieles in großer Hektik, in großer Geschäftigkeit und großem Stress, ich nehme mich da bekanntlich nicht aus. Der Gedanke über diese so vernachlässigte – ich nenne es mal Tugend – kam mir beim Essen dieser großen grünen Artischocke. Der Genuß einer Artischocke, das Abzupfen der einzelnen Blätter, das Eintauchen dieser in die Vinaigrette führte solch eine Gemächlichkeit herbei, katapultierte mich fast in einen Ruhezustand. Ich kam zu dem Schluß das man eine Artischocke nicht einfach verschlingen und verputzen, sie nicht mit Messer und Gabel vergewaltigen kann wie ein Stück Fleisch, sondern sie einen zwingt es eben langsam anzugehen. Jedes Blättchen möchte mit Sorgfalt behandelt und verzehrt werden. So sollte man es wohl mit jeder Speise handhaben.

Warum fällt es uns nur so schwer unserem Leben mit Langsamkeit zu begegnen? Hier mag man viele auch vermeintlich gute Gründe angeben: Die viele Arbeit, die vielen Emails und vielen Termine, das Kind, welches man gleich abholen muß im großen Verkehr, der viele liegengebliebene Haushalt, die Steuer, der Garten oder der Balkon, der gepflegt werden will. Dem Kind, den Freunden, den Nachbarn und dem Partner, denen man gerecht werden will. Ach, es gibt so vieles, was hier genannt werden könnte. Und alles muß schnell und möglichst effizient erledigt und abgearbeitet werden.

Eine Artischocke möchte nicht so behandelt werden und unser Körper und unser wertvolles Leben auch nicht. Eine gute Freundin gab mir von einigen Wochen mal den Rat eine ganze lange Minute nur mal zu Atmen und absolut nichts zu tun und zu sehen wie lange diese Minute währt und das wir 1440 Minuten am Tag zur Verfügung haben. Das erscheint erst einmal wie eine langweilige mathematische Rechnung und mit Mathe hab's ich ja auch nicht so. Es geht letztendlich nur um die Rückbesinnung der Zeit, die natürlich nicht unendlich ist. Aber muß man denn immer so viele Erledigungen in einen Tag packen oder zumindest in fast jeden Tag der Woche? Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder und erstaunlicherweise bin ich ganz ohne etwas Zutun in mehr Ruhe „verfallen“, indem mein Körper die letzten zwei Wochen förmlich nach Schlaf schrie. Fast jeden Abend fiel ich mit dem Kinde in einen dermaßen erholsamen zehnstündigen Schlaf, unmöglich mich dagegen zu wehren, wie ich es sonst gewohnt war, um all das noch am Abend zu erledigen, wozu ich tagsüber nicht gekommen war.

Doch der gefühlt nachgeholte Schlaf der letzten Jahre brachte mich tagsüber in eine erstaunliche Ruhe und Gleichmütigkeit, obwohl die letzten zwei Wochen wahrlich kein Zuckerschlecken waren. Aber anstatt den Kopf in den Sand zu stecken hat meine Körper nach Erholung verlangt. So absurd und simple es klingen mag, ich erledige nun einige wichtige Dinge voller Frische am frühen Morgen und starte befreit in den ruhigeren Tag. Viele Menschen machen das instinktiv so, weil ihr Biorhythmus das immer schon verlangte. Vielleicht liegt meine Kehrtwende auch daran, dass ich älter werde. Ich habe mich immer als Nachteule gesehen, die die ungestörten Spätabendundnachtstunden auch vermeintlich voll genossen hat, aber langfristig auf Kosten meines Körpers und meines Seelenfriedens. Um das zu begreifen mußte ich wohl etwas älter werden. Der Schlaf und die Artischocke hat mich weise gemacht. :-) Ich werde jetzt öfter Artischocke essen. Sie bringt mir Ruhe, gute Gedanken und ist gesund.

Habt alle einen ruhigen und besinnlichen Tag!