Die Langsamkeit ist uns abhanden
gekommen. Deshalb möchte ich heute ein Plädoyer auf die Langsamkeit
schreiben. Heutzutage geschieht vieles in großer Hektik, in großer
Geschäftigkeit und großem Stress, ich nehme mich da bekanntlich
nicht aus. Der Gedanke über diese so vernachlässigte – ich nenne
es mal Tugend – kam mir beim Essen dieser großen grünen
Artischocke. Der Genuß einer Artischocke, das Abzupfen der einzelnen
Blätter, das Eintauchen dieser in die Vinaigrette führte solch eine
Gemächlichkeit herbei, katapultierte mich fast in einen
Ruhezustand. Ich kam zu dem Schluß das man eine Artischocke nicht
einfach verschlingen und verputzen, sie nicht mit Messer und Gabel
vergewaltigen kann wie ein Stück Fleisch, sondern sie einen zwingt es
eben langsam anzugehen. Jedes Blättchen möchte mit Sorgfalt
behandelt und verzehrt werden. So sollte man es wohl mit jeder Speise
handhaben.
Warum fällt es uns nur so schwer
unserem Leben mit Langsamkeit zu begegnen? Hier mag man viele auch
vermeintlich gute Gründe angeben: Die viele Arbeit, die vielen
Emails und vielen Termine, das Kind, welches man gleich abholen muß
im großen Verkehr, der viele liegengebliebene Haushalt, die Steuer,
der Garten oder der Balkon, der gepflegt werden will. Dem Kind, den
Freunden, den Nachbarn und dem Partner, denen man gerecht werden
will. Ach, es gibt so vieles, was hier genannt werden könnte. Und
alles muß schnell und möglichst effizient erledigt und abgearbeitet
werden.
Eine Artischocke möchte nicht so
behandelt werden und unser Körper und unser wertvolles Leben auch
nicht. Eine gute Freundin gab mir von einigen Wochen mal den Rat eine
ganze lange Minute nur mal zu Atmen und absolut nichts zu tun und zu
sehen wie lange diese Minute währt und das wir 1440 Minuten am Tag
zur Verfügung haben. Das erscheint erst einmal wie eine langweilige
mathematische Rechnung und mit Mathe hab's ich ja auch nicht so. Es
geht letztendlich nur um die Rückbesinnung der Zeit, die natürlich
nicht unendlich ist. Aber muß man denn immer so viele Erledigungen
in einen Tag packen oder zumindest in fast jeden Tag der Woche? Diese
Frage stelle ich mir auch immer wieder und erstaunlicherweise bin ich
ganz ohne etwas Zutun in mehr Ruhe „verfallen“, indem mein Körper
die letzten zwei Wochen förmlich nach Schlaf schrie. Fast jeden
Abend fiel ich mit dem Kinde in einen dermaßen erholsamen
zehnstündigen Schlaf, unmöglich mich dagegen zu wehren, wie ich es
sonst gewohnt war, um all das noch am Abend zu erledigen, wozu ich
tagsüber nicht gekommen war.
Doch der gefühlt nachgeholte Schlaf
der letzten Jahre brachte mich tagsüber in eine erstaunliche Ruhe
und Gleichmütigkeit, obwohl die letzten zwei Wochen wahrlich kein
Zuckerschlecken waren. Aber anstatt den Kopf in den Sand zu stecken
hat meine Körper nach Erholung verlangt. So absurd und simple es klingen mag,
ich erledige nun einige wichtige Dinge voller Frische am frühen
Morgen und starte befreit in den ruhigeren Tag. Viele Menschen machen
das instinktiv so, weil ihr Biorhythmus das immer schon verlangte.
Vielleicht liegt meine Kehrtwende auch daran, dass ich älter werde.
Ich habe mich immer als Nachteule gesehen, die die ungestörten
Spätabendundnachtstunden auch vermeintlich voll genossen hat, aber
langfristig auf Kosten meines Körpers und meines Seelenfriedens. Um
das zu begreifen mußte ich wohl etwas älter werden. Der Schlaf und
die Artischocke hat mich weise gemacht. :-) Ich werde jetzt öfter
Artischocke essen. Sie bringt mir Ruhe, gute Gedanken und ist gesund.
Habt alle einen ruhigen und
besinnlichen Tag!